Diskussion um Lockerung des Abtreibungsrechts in Polen

50.000 Teilnehmer beim Marsch für das Leben

Der Nationale Marsch des Lebens am Sonntag in Polen lockte laut Organisatoren 50.000 Menschen aus dem ganzen Land nach Warschau. Die Mobilisierung zur Teilnahme am Marsch war besonders hoch, denn dieses Mal war es kein gewöhnlicher Marsch, sondern ein politisches Manifest: aktuell werden in Polen vier Gesetzesentwürfe diskutiert, die dazu führen könnten, dass der Schutz des ungeborenen Lebens in Polen zu den im restlichen Europa geltenden Standards reduziert wird.

Das Polnische Episkopat übernahm die Schirmherrschaft über den von der Stiftung des Hl. Benedikt und der Koalition für das Leben und die Familie organisierten Marsch. Außerdem wurde der vergangene Sonntag durch die katholische Kirche in ganz Polen zum Tag des Gebets für die Verteidigung des empfangenen Lebens erklärt. 

Aktuell ist in Polen Abtreibung rechtlich nur in Ausnahmefällen (Vergewaltigung oder Bedrohung der Mutter) zugelassen. Die seit dem 13. Dezember eingesetzte linksliberale Regierung möchte nun die Gesetzeslage in Bezug auf das Lebensrecht lockern. Dazu wurden in der vergangenen Woche vier Gesetzesentwürfe in der ersten Lesung diskutiert, die nach Abstimmung zur Prüfung und Weiterbearbeitung in eine Sonderkommission geleitet wurden. Alle vier Gesetzesentwürfe sehen eine Lockerung des Abtreibungsrechts vor – drei davon sollen die Abtreibung bis zur 12. Woche vollständig legalisieren, ein Entwurf sieht die „Rückkehr“ zum Stand vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts 2020 vor, soll also die Abtreibung im Falle eines schwerwiegenden Defekts des Kindes ermöglichen.

Damit ein Gesetz in Polen in Kraft tritt, muss es zuletzt noch durch den Staatspräsidenten unterzeichnet werden. Noch bis August 2025 ist dies Andrzej Duda von der von der rechtskonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“, die die Gesetzesentwürfe nicht unterstützt und zu deren Regierungszeit das Abtreibungsrecht auf den heutigen Stand verschärft worden ist. Andrzej Duda kann nach seiner zweimaliger Präsidentschaft nicht erneut kandidieren, sodass die rechtskonservative Partei, die als stärkste politische Opposition der Regierung gilt, einen neuen Kandidaten vorstellen wird. Sollte im kommenden Jahre ein Kandidat der Regierungskoalition die Präsidentschaftswahlen gewinnen, wird es mit Sicherheit zu einer Lockerung des Abtreibungsrechts kommen.

Das aktuell geltende Recht in Polen

Aktuell gilt das nach dem politischen Wandel im Jahr 1993 verabschiedete Gesetz („Abtreibungskompromiss“), das Abtreibung untersagt und nur in Ausnahmefällen, wie einer nachgewiesenen Vergewaltigung oder ernsthaften Bedrohung der Gesundheit oder des Lebens der Mutter, zulässt. Das Gesetz wurde 2020 durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts verschärft, das die eugenisch motivierte Abtreibung als verfassungswidrig deklariert hat (wir berichteten). Das polnische Recht regelte zuvor u.a. eine Ausnahme vom Abtreibungsverbot, laut der die Abtreibungen bei (wahrscheinlich) schwerwiegender und lebensbedrohlicher Schädigung des Fötus im Bauch der Mutter zugelassen ist. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts fiel am 22. Oktober, dem liturgischen Gedenktag des hl. Johannes Paul II – der sich für das ungeborene Leben einsetzte – und verursachte starke Proteste der Abtreibungsbefürworter. Viele politische Kommentatoren und Politiker sehen diese Proteste und die Mobilisierung v.a. junger Menschen zur Teilnahme an den letzten Wahlen (die Frequenz betrug ca. 74 Prozent) als Grund für den politischen Wandel in der Regierung (obwohl die rechtskonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ die meisten Stimmen erhielt, war keine Partei bereit, mit ihr eine Koalition enizugehen, sodass sich eine Regierungskoalition aus linksliberalen Parteien gebildet hat).

Die 4 Gesetzesentwürfe:

Die Linke („Lewica“) hat zwei Gesetzesentwürfe eingebracht, die u.a. die Abtreibung entkriminalisieren und für einen „sicheren Schwangerschaftsabbruch“ sorgen sollen: der Straftatbestand bei einem Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche sowie bei der Unterstützung dabei soll ausgeschlossen werden, der Zugang zur Abtreibung soll Bestandteil des Gesundheitsversorgung sein und in bestimmten Fällen (z.B. Wahrscheinlichkeit, dass eine Schädigung des Fötus vorliegt) über die 12. Schwangerschaftswoche hinaus gehen. In den Gesetzesentwürfen ist die Rede von „schwangeren Personen“.

In dem Gesetzentwurf, der von Abgeordneten der „Bürgerkoalition“ („Koalicja Obywatelska“), vorgelegt wurde („bewusste Elternschaft“), heißt es, dass eine „schwangere Person“ im Rahmen von Gesundheitsleistungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche Anspruch auf Abtreibung haben soll. Eine Erklärung der „schwangeren Person“ über die Tatsache der Vergewaltigung soll laut diesem Entwurf ausreichen (zurzeit ist dazu eine staatsanwaltliche Bescheinigung erforderlich).

Die die Mitte repräsentierende Partei „Der Dritte Weg“ hingegen hat ein Gesetzesentwurf eingebracht, das das Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2020 aufheben und damit die Abtreibung im Falle einer schweren und irreversiblen Schädigung des Fötus oder einer unheilbaren Krankheit, die sein Leben bedroht, zulassen soll. Es wird auch vorgeschlagen, ein Referendum über das Abtreibungsrecht durchzuführen.

Dieser Beitrag ist auch bei kath.net erschienen.


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